Krankenkassen lassen ambulante Pflegedienste im Stich

Klage der Krankenversicherungen gegen geeinte Vergütung bedroht ambulante Pflege.

Die Träger der ambulanten Pflege können mit den Krankenkassen einfach keine Einigung über die Vergütung der häuslichen Krankenpflege erzielen. Zwar wurde für 2023 per Schiedsspruch ein Ergebnis erzielt, jedoch haben die Kassen inzwischen dagegen eine Klage eingereicht. „Das hat uns sehr überrascht und das Verhalten der Kassen sorgt nun für große Unsicherheit“, stellt Kirsten Balzer, Geschäftsführerin der Diakonie Nord Nord Ost, fest. „Die Klage stellt das, was vereinbart war, wieder in Frage und lässt offen, wie es für die ambulante Pflege wirtschaftlich weitergehen kann.“

Die angespannte Lage in der ambulanten Pflege ist seit Monaten ein viel diskutiertes Thema in Mecklenburg-Vorpommern. Mehrfach hatte die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege schon Alarm geschlagen. „Die häusliche Krankenpflege ist schon länger ein wirtschaftlich schwieriger und defizitärerer Arbeitsbereich“, so Balzer. Vor allem verweigerten sich die Kassen, alle am Patienten erbrachten Leistungen zu bezahlen. „Zurzeit finanzieren sie bei einem Hausbesuch beispielsweise immer nur die kostenintensivste Leistung“, erläutert Balzer. „Das heißt, weitere Leistungen werden nicht gezahlt und sollen einfach mitgemacht werden – obwohl sie zusätzliche Zeit und Ressourcen kosten.“ Ihr Vergleich: „Das wäre so, als wenn Sie beim Bäcker fünf Brötchen bestellen, aber dann nur drei bezahlen wollten.“

Die Situation hat Konsequenzen. „Wir bekommen viele Anrufe, in denen man uns erst einmal berichtet, wie viele vergebliche Anfragen bei anderen Anbietern schon stattgefunden haben“, sagt Doreen Boniakowsky, Geschäftsbereichsleitung Pflege in der Diakonie Nord Nord Ost. „Wir versuchen dann zu unterstützen, wo immer es geht – aber es geht eben nicht immer. Manchmal übersteigt die Nachfrage auch unsere personellen Möglichkeiten.“ Dann würden die Anfragen, bei denen es um Versorgungsaufgaben geht, die nicht angemessen abgerechnet werden können oder bei denen notwendige Fahrtwege nicht bezahlt werden, natürlich eher abgesagt. „Kein Betrieb kann sich es leisten, dauerhaft auf Kosten sitzen zu bleiben.“

Die Krankenkassen sehen das anders. Sie würden den in 2023 von der Schiedsstelle festgelegten Betrag, der über der bisherigen Vergütung liegt, ja bis auf weiteres zahlen. Insofern würden sie die Aufregung der Anbieter gar nicht verstehen. „Doch durch die Klage müssen wir damit rechnen, dass es zu einer neuen, niedrigeren Vergütung kommt und wir dann rückzahlungspflichtig werden“, befürchtet Boniakowsky. „Da die Kassen auch schon in den Vorjahren die tatsächlichen Kostensteigerungen bei den Vergütungsverhandlungen nicht anerkannt haben, verfügt aber kein Anbieter über Rücklagen“, ergänzt sie.

„Neben dem Fachkräftemangel ist die Finanzierungspolitik der Kassen mittlerweile das Hauptrisiko aller Anbieter“, fasst Kirsten Balzer zusammen. „Die Situation bedroht die Versorgungsstruktur. Insbesondere im ländlichen Raum bleiben Regionen zunehmend unversorgt. Aus meiner Sicht ist das Vorgehen der Kassen verantwortungslos. Sie lassen die ambulante Pflege und die zu versorgenden Patientinnen und Patienten im Stich!“ Außerdem: „Es gibt dadurch auch keine Basis für neue Verhandlungen bezogen auf das laufende Jahr. Dabei hätten diese bereits zum 1. April 2024 abgeschlossen sein müssen.“

Zusatzinformation

Häusliche Krankenpflege sind ärztlich verordnete Leistungen, die Patienten in ihrer eigenen Häuslichkeit erhalten. Sie umfasst beispielsweise Medikamentengabe, Wundversorgung oder das Anziehen von Kompressionsstrümpfen. Durchgeführt werden sie von ambulanten Pflegediensten, die von den Krankenkassen finanziert werden. Die jeweilige Finanzierung beruht auf den Vergütungsvereinbarungen, die derzeit durch die Krankenkassen beklagt werden.

Laut einer Umfrage der Diakonie Deutschland vom November 2023 schätzten 72,7 Prozent der befragten ambulanten Pflegedienste ihre wirtschaftliche Situation als angespannt ein. Fast zwei Drittel der ambulanten Pflegedienste machen finanzielle Verluste. Jeder zehnte Anbieter fürchtet in den kommenden beiden Jahren das Aus.

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Kirsten Balzer (li.), Geschäftsführerin der Diakone Nord Nord Ost, und Doreen Boniakowsky, zuständige Geschäftsbereichsleitung, schlagen Alarm.